Die zweite Rettung für Griechenland steht jetzt an. 110 weitere Euro-Milliarden sind ein hoher Preis fürs Nichtstun. Daß Griechenland nicht ohne grundlegende Veränderungen an die Kreditmärkte zurückkehren kann, war schon vor gut einem Jahr bei der Debatte über das erste Paket zur Errettung Griechenlands klar. Ich erinnere nur an die entsprechende Aussage von Joseph Ackermann, für die er so stark von den Mächtigen in Berlin gescholten wurde.
Siehe:Ackermann äußert Zweifel an Griechenland-Rettung (bei Handelsblatt.com am 13.05.2010 veröffentlicht)
Aber welche Veränderungen genau sind denn notwendig? Selbstverständlich und klar ist, dass in Griechenland selbst Verkrustungen aufgebrochen werden müssen, was ja auch massiv geschieht. Aber klar ist auch, daß dieses Problem und auch die zugehörige Lösung nicht allein in Griechenland zu finden sind. Und außerhalb Griechenlands kann ich sehr viel weniger Aktivität und Energie bei der Suche nach einer Lösung erkennen.
Die Offiziellen in Berlin, Frankfurt, Paris etc. geben indirekt zu dass die jeweilige Rettung für Griechenland nicht nur wegen griechischen Besonderheiten notwendig wird. Sie beschwören vielmehr vier Mal pro Woche die Gefahr einer Ansteckung der Staatsschulden-Krise für Irland, Spanien und Portugal. Belgien und Italien werden zwar seltener erwähnt, aber eine Krise der Staatsfinanzierung dort könnte noch gefährlicher werden. Wenn es sich aber um ein rein griechisches Problem von Korruption und Verkrustungen handeln würde, wären dadurch weder Irland noch Spanien bedroht. Auch die deutschen Exporte nach Griechenland sind gering. Trotzdem sind die Regierungen der EU-Staaten bereit, hunderte von Milliarden Euro auf den Tisch zu legen. Wirklich nur wegen eines Problems, das ausschließlich Griechenland betrifft?
Das Problem hat in Wahrheit drei Köpfe:
- Dieser Aspekt darf noch offen diskutiert werden: Die EZB muss eine Geldpolitik für alle Eurostaaten machen. In vielen Fällen sind die Zinsen zu niedrig für die Einen und zu hoch für die Anderen. Und in der Praxis hat sich herausgestellt, daß sich die Geldpolitik der Eurozone in erster Linie nach den Bedürfnissen Deutschlands und Frankreichs ausrichtet. Wenn Berlin niedrige Zinsen braucht, wie in den Jahren 2001-2005, sind die Zinsen in der Eurozone niedrig. Es spiel dann auch keine Rolle, ob der Immobilienmarkt in Spanien oder Irland heiß läuft. Es spielt auch keine Rolle, wenn der griechische Staat die niedrigen Zinsen als eine unerwartete Bonanza betrachtet, und nach dem Motto „Get it, while you can take it“ beherzt zugriff. Diese Argumentationslinie wird in Deutschland oft und gerne benutzt, um die Forderung nach einer Wiedereinführung der D-Mark zu legitimieren.
- In Berlin ist das Interesse an gemeinsamer europäischer Politik verloren gegangen. Ein Beispiel ist die Entscheidung im Jahre 2008, daß es keine europäische „Rettung“ für das europäische Bankensystem nach der Lehmann-Pleite geben würde, sondern jeder Staat selber sehen sollte, wo er bleibt. Diese Politik wurde von Angela Merkel und Peer Steinbrück (der seinen Nachbarn mit Kavallerie droht und das auch noch spaßig findet) durchgesetzt.
Ein weiteres Beispiel ist, daß trotz allem Gerede über eine gemeinsame europäische Energiepolitik in Berlin noch nicht einmal Konsultationen im europäischen Rahmen für notwendig gehalten wurden, bevor Merkel die schnelle Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland verkündete. Mir scheint, dass die Berliner Regierung zur traditionellen preußischen Außenpolitik des Lavierens zwischen Russland und dem Westen zurückgekehrt ist. Merkel &Co. agieren jedenfalls nicht mehr als Teil des Westens, der sich in EU und NATO institutionell abbildet. Eine kleine Krise scheint Merkel hin und wieder ganz gelegen zu kommen, um bestehende Strukturen von EU und NATO auszuhöhlen. Dafür versucht sie dann informelle Machtstrukturen aufzubauen, die ihr mehr Raum zum manövrieren und intrigieren lassen. - So wurde zwar viel über eine Rettung für Griechenland geredet, und noch mehr Geld dafür ausgegeben. Leider ist ob all dieser Anstrengung keine Zeit mehr dafür geblieben, eine gemeinsame wirtschaftliche Strategie für die ganze EU zu entwickeln, in der auch alle kleine Staaten am Rande ihren Platz haben. Dabei könnte Griechenland sehr viel zu einer sicheren europäischen Energieversorgung beitragen. So wurde zum Beispiel vor der Küste Israels Erdgas gefunden, was eine Suche in griechischen Seegebieten nahe legt. Auch wäre Griechenland ein interessanter Standort für die Gewinnung nachwachsender Energieträger aus dem Meer, z.B. über die Zucht bestimmter Algen, die zu Treibstoff verarbeitet werden können. Stattdessen wurden in „Kerneuropa“ Projekte in Gang gesetzt, mit denen Sonnenenergie aus der Sahara als Elektrizität nach Deutschland geleitet werden soll. Sie soll unter anderem dafür genutzt werden, in Deutschland Bleche in Auto-Türen zu verformen. Ob es nicht sinnvoller wäre, solche Fabriken in Portugal oder auch in Marokko aufzubauen?
Bereits explodiert: Das vierte Gesicht des Problems
Es gab noch einen vierten Aspekt bei der Inszenierung einer Rettung für Griechenland. Dieser Teil des Problems hat sich jedoch inzwischen von selbst erledigt. Es sollte unter allen Umständen die Doktrin aufrecht erhalten werden, dass Staatschulden, zumindest in Europa, risikolos seien. Regierungen in Paris, Berlin, Rom, Madrid und anderen Städten fürchteten nämlich, daß Anleger ihre Schulden, Vermögenswerte, Einnahmen und Ausgaben einmal unter die Lupe nehmen könnten. Das geschieht mittlerweile, und es ist das Ende des wunderbaren Zeitalters, in dem die Regierungen großer europäischer Staaten nur mit dem Finger schnippen mussten, um quasi unbegrenzte Finanzmittel zu mobilisieren.
Viele Wähler in Deutschland fragen sich bis heute, wo Merkel und Steinbrück die 750 Milliarden Euro versteckt hatten, die sie im Jahr 2008 innerhalb von wenigen Tagen für den sogenannten „Rettungsschirm für Banken“ mobilisiert haben. Diese Wähler wissen nicht, daß dieses Duo damals nur ein paar Zettel genommen und ein paar Zahlen darauf geschrieben habt. Merkel glaubt bis heute, damals super clever gehandelt zu haben. Aber Schäuble wischt sich ab und zu den Angstschweiß von der Stirn, wenn er daran denkt, daß ihm als Finanzminister eines Tages diese Zettel zur Einlösung der darauf gekritzelten Versprechungen präsentiert werden könnten.
Heute ist die Illusion vom Staat ohne finanzielle Grenzen gründlich geplatzt, und die Menschen wissen, dass im Zweifel auch der allergrößte Staat pleitegehen kann. Daran ändert auch die Frage nichts, ob ein Staat zur Vertuschung neue kreative Worthülsen erfindet oder die Wahrheit einfach Wahrheit sein lässt. Daher steht diese Zettel-Methode bei der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands heute nicht mehr so einfach zur Verfügung.
Schlussfolgerung
Eine Rettung für Griechenland wurde notwendig, weil sich der griechische Staat nicht zu einer funktionierende ökonomischen Strategie durchringen konnte, und auch die EU keine gemeinsame ökonomische Strategie entwickelt hat, die jedem einzelnen Mitgliedsland eine Zukunft in Wohlstand ermöglicht. Deshalb kann Griechenland aller Wahrscheinlichkeit nach seine Schulden nicht komplett zurückzahlen und wäre schon jetzt ohne Gelder von EU und IWF ein gescheiterter Staat. Andererseits liegt die Lösung nicht in einer Entschuldung Griechenlands alleine. Ob man bei einer Entschuldung an einen teilweisen Schuldenerlass oder an eine Übernahme eines Teils der Schulden durch die EU als Institution denkt, spielt keine Rolle. Eine von beiden Möglichkeiten wird unausweichlich sein, wie auch Axel Weber bestätigt. Aber keine von beiden Optionen macht Sinn, bevor es ein funktionierendes Geschäftsmodell für eine neue griechische Wirtschaft im Rahmen der EU gibt. Und ein solches Modell wird es nicht geben, bevor nicht in den EU-Rat ein Geist zurückkehrt, der nach gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme sucht. Man könnte daraus folgern, daß eine Entschuldung Griechenlands nicht vor einer Ablösung Merkels sinnvoll sein wird.