Die Eurozone nach Zypern

Die Diskussion um die Bedeutung der Zypern-Krise wird noch geführt. Wurde damit festgelegt, dass es in der Eurozone nach Zypern kein Bailout für Banken mehr geben kann? Jens Weidemann fordert jedenfalls, dass es eine Hackordnung der Kreditoren geben sollte, die abgearbeitet werden soll, bevor der Staat belastet wird. Er schließt hier ausdrücklich Bankeinlagen mit ein, und nur bei Sparkonten unter hunderttausend Euro bleibt er etwas unklar, inwieweit diese vor dem Staat belastet werden sollten.

Es gibt viele Neben-Kriegsschauplätze:

  1. Sind Spareinlagen noch sicher?
  2. Werden die Euro-Staaten wenn sie es für nötig halten Liquiditätsreserven von Unternehmen ganz oder teilweise konfiszieren?
  3. Haften nun Kunden einer gesunden Bank für Verluste aus Staatsanleihen von Banken, mit denen sie überhaupt nichts zu tun haben?
  4. Kann ein Rechtsstaat eine Steuer nur für Kunden einer einzigen Firma einführen? Wie wäre es mit einer Sondersteuer für alle Eigentümer eines Volkswagen-Autos, wenn VW wie in den 70er Jahren wieder einmal die Entwicklung verschlafen hat?
  5. Wer haftet für ELA-Kredite wenn die betreffende Bank zahlungsunfähig wird?
  6. Sind die EZB – und vielleicht auch der ESM – bevorrechtigt gegenüber allen anderen Kreditoren einer Bank, auch wenn dies nirgendwo in Verträgen festgelegt wurde?

Alle diese Fragen werden wenn überhaupt letztlich vor Gerichten geklärt werden. Das wird aber Jahre dauern und gehört nicht zu den unmittelbaren Folgen der Krise um Zypern.

Die wichtige Konsequenz der Zypernkrise:
Kapitalverkehrskontrollen werden im Euroraum hoffähig

Der europäische Binnenmarkt und das darin verankerte Prinzip des freien Kapitalverkehrs wurde durch Kapitalverkehrskontrollen außer Kraft gesetzt.
Das ist wichtig, denn ohne ein etabliertes und erprobtes System von Kapitalverkehrskontrollen kann der Austritt eines Landes aus der Eurozone nicht gemanagt werden.

Zypern als Versuchskanienchen

Da lag es nahe, ein kleines Land am Rande der EU, dessen Zusammenbruch im schlimmsten Fall auch wieder aufgefangen werden konnte, als Versuchskaninchen auf die Reise zu schicken. Jetzt konnte man testen, wo trotz Verbotes Vermögen aus Zypern abfließen konnte. Man konnte auch auf Ebene der EZB die Mechanismen etablieren und verfeinern, die zur Kontrolle des Kapitalverkehrs aus einem noch oder auch nicht-mehr Eurolandes durchgesetzt werden kann.

Zypern als Präzendenzfall
Auch wichtig: alle Parteien der europäischen Vertrage haben diesen Vertragsbruch akzeptiert, niemand hat protestiert. Damit gibt es jetzt einen erprobten Mechanismus zur Blockade von Geldüberweisungen aus einem Euroland in ein anderes, der jedenfalls stillschweigend von allen toleriert wurde. Es würde der EU-Kommission schwer fallen zu erklären, warum es mit den europäischen Verträgen vereinbar sein soll, wenn Zypern Kapitalverkehrskontrollen einführt, aber dasselbe Vorgehen durch ein anderes Land ein Vertragsbruch sein sollte.

Ein Zerfall der Eurozone wird zur realen Möglichkeit

Der Austritt eines Landes oder einer Gruppe von Ländern aus der Eurozone ohne Kapitalverkehrskontrollen wäre praktisch nicht zu managen. Nachdem nun ein Instrumentarium zur Verfügung steht, ist ein Auseinanderbrechen der Eurozone von einem unwahrscheinlichen Katastrophenfall zu einer realen Möglichkeit geworden. Gleichzeitig argumentiert Bundesbankpräsident Weidemann gegenüber dem deutschen Verfassungsgericht, dass es nicht Teil der Aufgabe der EZB sein könne, den Zusammenhalt der Eurozone sicherzustellen. Eine Entscheidung über den Zusammenhalt der Eurozone liege allein in der Sphäre der gewählten Politiker. Damit impliziert Weidemann, dass es durchaus auch eine Entscheidung gegen den Zusammenhalt der Eurozone in ihrer jetzigen Form geben könnte.

Dynamik

Damit erhält die Situation eine neue Dynamik. Wenn bisher die Risiken für den Bestand der Eurozone zwischen Banken, Hedge-Fonds, großen Kapitalanlegern und Regierungen verhandelt wurden, so sind jetzt auch Exportaufträge für größere Anlagen und längerfristige Investitionen von der Unsicherheit betroffen. Nur ein Beispiel: Wenn heute ein italienischer Kunde eine Produktionsanlage im Wert von einigen Millionen Euro in Deutschland kaufen möchte, die über mehrere Jahre realisiert und bezahlt werden soll, so entsteht folgendes Problem: Die Verträge werden in Euro abgeschlossen. Wenn nun in der Zwischenzeit Deutschland zusammen mit einigen anderen Ländern den Euro verlassen würde, und dann ihre Kosten-Basis in einer neuen, teureren Währung hätten, würde der Lieferant einen möglicherweise erheblichen Verlust machen. Wenn andererseits Italien,möglicherweise zusammen mit weiteren schwächeren Ländern die Eurozone verlassen würden, hätte der Italienische Kunde ein Problem. Er müsste die Rechnungen wie vereinbart in Euro bezahlen. Eine in diesem Fall unvermeidliche Aufwertung des Euro würde aber bedeuten, dass sich der Rechnungsbetrag umgerechnet in seine neue Heimatwährung weitaus höher als geplant wäre. In der Nach-Zypern-Welt werden beide Partner sicherlich darüber nachdenken, ob sie die Entscheidung über ein solches Project nicht aufschieben wollen, bis die Unsicherheit vorübergezogen ist. Das bedeutet aber, dass es ohne eine Klärung über die zukünftige Form und Struktur der Eurozone sehr schwer werden wird, die gegenwärtige Rezession zu überwinden.
Diese Problematik schlägt sich mittlerweile auch deutlich in den Statistiken des deutschen Außenhandels nieder.

Schlussfolgerung

Der Druck auf Politiker in Europa zu einer Klärung der Euro-Krise wird sich verstärken. Es kann eine Situation auch in Deutschland entstehen, in der die Rezession die Euro-Krise verstärkt und gleichzeitig die Euro-Krise durch die Rezession verschärft wird. Der Druck zu einer Lösung zu kommen, wird immer stärker werden. Gleichzeitig wird der Spielraum der verschiedenen politischen Kräfte, Zugeständnisse zu machen, durch die Rezession immer geringer werden. Das kann zu einer schnellen und sehr starken Zuspitzung führen.

Euro 2013

Es scheint so zu sein, dass die Berliner Regierung zu dem Schluss gekommen ist, den Euro als Gemeinschaftswährung nicht zu sprengen. Ein Indiz dafür ist, dass sie den Jahreswechsel 2012/13 hat verstreichen lassen, obwohl der Feiertagskalender zu einem 10-tägigen Bankfeiertag geradezu eingeladen hat.

Die Entscheidung ist im Umfeld des EU-Gipfels kurz vor Weihnachten gefallen, und hat sich darin ausgedrückt, dass der deutsche Finanzminister nun endlich zugestimmt hat, die seit Juni versprochene Rate der Kredite an Griechenland auch tatsächlich auszuzahlen. Wichtig ist, daß diese Entscheidung vor Beginn des Treffens der Chefs bekannt veröffentlicht worden war. Damit war klar, dass Merkel nun den Versuch aufgegeben hatte, Griechenland als Geisel zu nehmen, um so ihr gefällige Institutionelle Veränderungen in der EU durchzusetzen.

Die Griechen können sich dafür herzlich bei David Cameron bedanken, obwohl Großbritannien nicht der Eurogruppen angehört. Cameron hat nämlich klargemacht, dass eine erneute Revision der EU-Verträge keinesfalls eine Einbahnstraße in Richtung weiterer Zentralisierung von Macht in Brüssel geworden wäre. Und das ist auch gut so, denn gerade die letzen beiden Jahre haben sehr klar gemacht, wie die Neo-Preußische Machtzentrale in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes bereit ist, die Interessen schwacher Mitglieder der EU mit Füssen zu treten um eigene Partikularinteressen durchzusetzen.

Ein Beispiel ist der beispiellose Umgang mit Griechenland, der dieses Land für volle 6 Monate in das Niemandsland eines wahrscheinlichen Staatsbankrotts mit möglichem Austritt aus der Eurozone und EU verbannt hat. Unter solchen Bedingungen gibt es keine Strukturreform, keine Verbesserung des Steuersystems und auch sonst nichts, was einen wirtschaftlichen Schrumpfungsprozess aufhalten könnte. Aber Berlin hat dadurch Milliarden Euros von Geldanlegern in Europa in Form gesparter Zinsen geschenkt bekommen. Das niedrigen Zinsniveau hat aber auch Firmen wie Volkswagen, Lufthansa, DHL und T-Com einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber Ihren Konkurrenten wie Fiat, Peugeot und Air France verschafft.

Wie massiv der Einfluss der Politik auf europäischer Ebene auf die Finanzierungsbedingungen einzelner geschwächter Staaten ist, kann man gut an der Entwicklung der Zinsen italienischer Staatsanleihen sehen. Am 26. Juli 2012 war die Rendite 10-jähriger italienischer Staatsanleihen 6,60%, am 3. Januar 2013 4,23%. In der Zwischenzeit war der italienische Ministerpräsident Monti zurückgetreten und Neuwahlen in Italien wurden anberaumt, die eine Fortführung des Sparkurses a la Merkel zumindest fraglich erscheinen lassen. Man sollte also annehmen, dass dies zu höheren, nicht zu niedrigeren Zinsen führt.

Man kann getrost davon ausgehen, dass nur ein kleiner Teil des niedrigen Zinssatzes darauf zurückgeführt werden kann, dass am Beispiel Griechenlands klar geworden war: Auch sparen kann zu steigenden Defiziten führen. Der größere Teil des Zinsrückganges spiegelt das Versprechen der EZB, einen Zerfall der Eurozone nicht zuzulassen.

Im kommenden Jahr werden wir nun einen Kampf um die europäischen Institutionen erleben. Berlins Regierung fordert ein Vetorecht im EZB-Rat und dass die Detail-Informationen über die Bilanzen und Risiken seiner staatsnahen Banken in Deutschland verbleiben sollten. Banken außerhalb der Eurozone sollen sich hingegen der Aufsicht der Eurozone unterwerfen. Selbstverständlich möchten sich Merkel und Freunde jedoch weiterhin die Möglichkeit offenhalten, über den ESM Hilfsmaßnahmen für geschwächte Staaten und Banken blockieren zu können, um dann das Momentum dafür zu nutzen, an anderen Baustellen eigene Interessen durchzusetzen. Die EU-Kommission und auch das europäische Parlament wollen sich wieder den Einfluß sichern, der ihnen nach den gültigen EU-Verträgen zusteht.

Kleinere Staaten und auch Großbritannien wollen sich vor Diktaten aus Brüssel schützen, insbesondere auch weil diese Diktate in der Praxis nicht von den europäischen Institutionen stammen. Diese würden ja auch kleinen Mitgliedsstaaten ein Mitspracherecht einräumen. Die Diktate kommen aber, wie bei der Saga um den Fiskalpakt, oft auf aus Berlin und teilweise aus Paris. Ein vermeintliches Diktat aus Brüssel ist dann in Wirklichkeit nur das Vorlesen eines in der Willy-Brand-Straße 1 erstellten Textes.

Die Briten Iren, Tschechen, Polen, Schweden, Griechen … haben jeden Grund, sich vor solchen Verfahren zu schützen. Der richtige Weg dafür ist einerseits, die europäischen Institutionen zu stärken, andererseitz aber auch klare Grenzen der Macht für EU-Ministerrat, EU-Kommission und EU-Parlament zu setzen. Wenn ein solches Ergebnis gefunden werden würde, das den informellen Einfluss auf die europäischen Institutionen begrenzt, und gleichzeitig klar definiert, wo die Kompetenzen dieser Institutionen enden, dann werdem dem sicher auch die Briten zustimmen können. Wenn die EU jedoch zu einem Gebilde verkommen sollte, das in erster Linie Vorgaben aus dem Willy-Brand-Platz 1 in Berlin umsetzt, dann wäre dieses Europa kein Friedensprojekt mehr, mit allen Konsequenzen für seine Legitimität.

10-jährige Bundesanleihen
10-jährige italienische Anleihen
10-jährige spanische Anleihen

Deutsche Attacke gegen den Euro

In den vergangenen 10 Tagen gab es eine Vielzahl von Erklärungen und Verlautbarungen zur Eurokrise, die so gar nicht zu der eigentlich angesagten Sommerruhe passen wollen.
Hier ist eine kurze Auflistung:

20. Juli: EZB erklärt, dass das Sonderprogramm zur Annahmen griechischer Staatsanleihen, das zur Absicherung der Abwicklung des Schuldenschnittes im Juli aufgelegt war, ausläuft
21. Juli: Presseberichte (Der Spiegel, und die Süddeutsche Zeitung) suggerieren, dass ein hochrangiger Vertreter der EU-Kommission sie informiert hätte, dass der IWF keine neuen Gelder für Griechenland auszahlen wolle. Die EU-Kommission dementiert später.
22. Juli: Eine Vielzahl deutscher Politiker erklärt, dass Griechenland kein Geld mehr erhalten werde, wenn es seine ihm auferlegten Verpflichtungen nicht einhalten würde.
22. Juli: Bundeswirtschaftsminister Rösler zieht on diesem Zusammenhang in Zweifel, ob es überhaupt möglich wäre, dass Griechenland seine Auflagen erfüllt. Dafür wird er von vielen Seiten mit Steinen beworfen.
26. Juli: EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, dass er alles tun werde, um den Euro zu erhalten, und dass er genügend Mittel hätte, dies auch zu erreichen.
27. Juli: Gemeinsame Erklärung von Angela Merkel und Francoise Hollande, deren erster Satz besagt, dass beide alles tun wollten, um die Integrität der Eurozone zu verteidigen.
29. Juli: Merkels stellvertretender Sprecher Streiter berichtet, dass Angela Merkel mit Mario Monti telefoniert habe, und dass beide alles tun wollten, um die Eurozone zu schützen, und dass Monti im August nach Berlin zu Besuch kommen würde.
29. Juli: Rösler wiederholt, dass Griechenland kein Geld mehr erhalten soll, wenn es seine Verpflichtungen erfüllt. Seine Zweifel, ob diese Auflagen überhaupt erfüllbar sind, behält er diesmal für sich. Er weiß ja nun, dass Denken im Allgemeinen nicht immer politisch korrekt ist und solche Zweifel im Besonderen politisch ganz und gar unkorrekt sind.
29. Juli: Jean-Claude Juncker kritisiert deutsche Politiker.
30. Juli: Hessens Europaminister Hahn fordert Klage gegen EZB wegen Anleihekäufen.
30. Juli: Dobrindt fordert Junkers Rücktritt.

Was geht hier vor?
Zunächst war das Statement der EZB vom 20. Juli nicht der Auslöser dieser Kampagne von Tiraden gegen Griechenland, Juncker und die EZB. Vielmehr war diese Erklärung völlig vorhersehbar und eigentlich nur von technischer Bedeutung. Die einzige faktische Auswirkung war, dass eine Hintertür zur Finanzierung des griechischen Haushalts mit Mitteln, die für die Rekapitalisierung griechischer Banken und somit zur Sicherung ihres Überlebens trotz der Verluste aus der Abschreibung griechischer Staatsanleihen bestimmt waren, geschlossen blieb.
Aber dieses Statement war Deckung genug für den Beginn einer Kampagne, die wie so oft durch eine Spiegel-Ente eingeleitet wurde: Der IWF wolle keinerlei Auszahlungen aus den versprochenen Kreditlinien an Griechenland mehr machen. Als Quelle wurde eine hochgestellte Person aus dem Bereich der EU-Kommission suggeriert. Der Bericht wurde sowohl von EU-Kommission als auch vom IWF dementiert.
Die Meldung war entweder frei erfunden, oder es handelte sich um eine „ungenaue“ Darstellung eines Hintergrundgesprächs, das unter dem Vorbehalt der Vertraulichkeit geführt worden war. Ob Bruch einer vereinbarten Vertraulichkeit oder „kreativer“ Journalismus, der Bericht sagt mehr über die Seriosität des Magazins „Der Spiegel“ als über die Absichten des IWF.
Danach kommt sofort anschließend die Salve aus deutschen Politikermündern zum Thema Griechenland, alle mit dem Inhalt dass Griechenland kein Geld mehr erhalten solle, wenn es die ihm auferlegten Pflichten nicht erfülle. Diese Statements kamen von Westerwelle, Steinbrück, Kauder und anderen. Merkel lässt über die Süddeutsche Zeitung Griechenlands Ende streuen, und schweigt dann beredt.

Rösler war zu ehrlich für Berlins Geschmack
Rösler ist zu weit gegangen. Er hat ein Wort zu viel gesagt: „.. dass Griechenland wahrscheinlich seine Auflagen nicht wird erfüllen können.“ (Quelle: Bericht aus Berlin – Hauptstadtstudio. Minute 10:45 des Interviews) Politisch korrekt nach Seehofer, Steinbrück und Merkel wäre gewesen „.. dass Griechenland seine selbst eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllen will.“
Bemerkenswert ist auch die Frage des ARD-Korrespondenten Ulrich Deppendorf: „ … Der IWF hat gesagt, er will seine Hilfe eigentlich für Griechenland einstellen …“ (Seite 6 des Transskripts) Richtig ist, dass der IWF das nicht gesagt hat. Vielmehr hat der Spiegel behauptet, er hätte gehört, dass der IWF so etwas gesagt hätte. Aber Deppendorf behandelt Gerüchte als erwiesene Tatsachen. Das nenne ich nicht Qualitätsjournalismus.
Der IWF hat den Spiegel dementiert. Und die suggerierte Quelle der Behauptung hat den Spiegel ebenfalls dementiert. Allerdings kamen diese Dementis nach Deppendorfs Aussage. Daher weiß ich nicht, ob er böswillig oder gutgläubig war.

Phillip Rösler stellte in seiner Ehrlichkeit in Frage, ob Griechenland die Sparziele überhaupt erfüllen kann. (Etwa Minute 10:45 des Interviews.) Diese Frage darf er aber als Minister der Regierung Merkel nicht stellen, weil danach sofort der Gedanken kommt, dass es unfair ist Unerreichbares von Griechenland als Vorbedingung für weitere Hilfe zu verlangen. Und Griechenland kann selbstverständlich die ihm auferlegten Bedingungen so lange nicht erfüllen, wie im Dreimonatsrhythmus darüber diskutiert wird, ob jetzt endlich alle Hilfszahlungen eingestellt und das Land aus der Eurozone gedrängt werden kann/soll/wird. Selbst Projekte, die ohne Zweifel lohnend sind, wie z. B. die Suche nach Erdgas in der Ägäis, müssen in dieser Situation liegen bleiben. Woher soll da ein Wirtschaftsaufschwung kommen, der Bedingung für einen griechischen Haushalt ohne neue Schulden ist.
Fair wäre es, entweder klar zu sagen: „Wir wollen nicht mehr“, oder dafür zu sorgen dass Griechenland wieder eine Perspektive mit dem Euro bekommt.
Doch wer wie Rösler einen solchen Gedanken – sei es auch nur vage – in dem Raum stellt, erntet in Deutschland nur gehäufte Häme.

Die Reaktionen am Kapitalmarkt
Dieses Geschrei aus Berlin hat natürlich bei den Händlern von Währungen und Staatsanleihen seine Wirkung nicht verfehlt.

  • Der Euro ist massiv gesunken, viel Geld ist aus Europa abgeflossen
  • Spanische Staatsanleihen sind im Kurs gefallen, ab 25. Juli haben sie sich wieder erholt
  • Französische Staatsanleihen, die sehr von dem EU-Gipfel Ende Juni profitiert hatten, begannen einen Sturzflug, erholten sich dann aber am 25. Juli wieder etwas
  • Bundesanleihen stützten auch ab und haben sich erst am 30. Juli wieder gefangen

Die Reaktion der EZB
Das Statement aus der Rede des EZB-Präsidenten Draghi sollten Sie im Originaltext lesen. Dieser ist auf der Website der EZB veröffentlicht. Das Statement Draghis fällt etwa folgendermaßen aus:
Nach einer Einleitung erklärt er, dass er alles, was innerhalb seines Mandates ist, tun wird, um den Euro zu erhalten. Und dass er sich sicher ist, dass er dazu in der Lage ist.
Dann wird er spezifischer. Er stellt fest, dass es eine gewisse Renationalisierung der Kapitalmärkte innerhalb der Eurozone gibt. Er führt dieses einerseits auf falsch konstruierte Regulierungen zurück und bemerkt andererseits, dass Banken von ihren nationalen Aufsichtsbehörden ermuntert werden, in erster Linie in Finanzprodukte aus dem eigenen Land zu investieren. Er erklärt, dass ein wichtiges Ziel einer europäischen Finanzaufsicht sein werde, diese beiden Probleme zu lösen.
Dann macht er klar, dass er als einen Grund für die Zinsdifferenzen innerhalb der Eurozone (neben unterschiedlichen Liquiditätspositionen und unterschiedlicher Bonität) auch ein „Convertibility Risk“ sieht. Mit „Convertibility Risk“ spricht er das Risiko an, dass einige Anleihen in eine andere Währung konvertiert werden könnte. Dies würde geschehen, wenn eines oder mehrere Mitglieder aus der Eurozone ausscheiden würden. Er erklärt, dass es im Zuständigkeitsbereich der EZB liegt, die Auswirkungen dieses „Convertibility Risks“ auf die Preise und Zinsen der Staatsanleihen der verschiedenen Länder auszugleichen. Auch kann er über Liquiditätsengpässe weghelfen. Und er glaubt, dass die EZB mit den LTROs dies bereits getan hat. Er erklärt, dass er bei Problemen mit der Zahlungsfähigkeit eines Landes oder einer Bank nur beschränkte Möglichkeiten für Interventionen der EZB sieht.
Die ach so seriösen deutschen Staatsmedien interpretieren dieses Statement als Ankündigung der EZB, neue Staatsanleihen zu kaufen. (Kommentar von Jan Seidel veröffentlicht unter Tagesschau.de am 27.7.12. Fragen Sie die Tagesschau nach dem Transskript. Ich habe einen Download der Audiodatei, kann diesen aber aus Urheberrechtsgründen nicht online stellen.)
Welches Maßnahmenbündel Draghi auch immer im Auge hat, seine Erklärung hat jedenfalls den Wechselkurs des Euro zum Dollar wieder stabilisiert.

Merkel, Hollande und Monti
Die beiden Erklärungen Merkel mit Hollande und Merkel mit Monti sind in ihrer Wirkung jedoch innerhalb weniger Stunden verpufft. Das liegt an eingebauten Hintertürchen. Und daran, dass die Riege der Minister und Parteifreunde Merkels munter weiter nach einem Aufbrechen der Eurozone ruft. Merkel ist ja im Urlaub und kann deshalb momentan keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Crew nehmen. Zum Glück ist mittlerweile Jean-Claude Juncker in die Bresche gesprungen. Es bleibt nur zu hoffen, dass Merkels direkte Mitstreiter wenigstens den Ordnungsruf Junckers gehört haben. Auf Länderebene ist die Intervention Junckers jedoch offensichtlich nicht verstanden worden, obwohl er sogar im Sinne Kauders deutsch gesprochen hat.

Bitte um Nachsicht für Landespolitiker
Vielleicht sollte man jedoch auch etwas Nachsicht üben mit den Hahns, Dobrindts und Seehofers. Klar, dass sie nervös werden. Sie sehen die negativen Renditen der Bundesanleihen davonschwimmen. Und damit auch die massiven Zinssubventionen, die Deutschland von den Griechen, Spaniern und Italienern nicht nur bei Staatsanleihen in Form des niedrigeren Zinssatzes erhalten, der aufgrund des von Seehofer und Freunden herbeigeredeten „Convertibility Risk“ entsteht. Hierbei handelt es sich wohlgemerkt nicht um rückzahlbare Kredite, sondern um einen dauerhaften Transfer von Wohlstand. Einschlägige Charts zeigen deutlich, dass Draghis Intervention bezüglich des „Convertibility Risk“ wirksam war und diesen Wohlstandstransfer u.a. von Griechenland nach Deutschland beeinträchtigt hat.


Sollte der eine oder andere Politiker oder Journalist der Meinung sein, dass ich seine Position nicht richtig verstanden oder wiedergegeben hätte, so gibt es hier eine Kommentarfunktion. Diese lässt sich auch prächtig für Klarstellungen nutzen.

Angela Merkel – die Krisensurferin

Die Berliner Kanzlerin Angela Merkel hat die Technik des Krisensurfens fast bis zur Perfektion entwickelt. Sie hat sich mit dieser Technik den Vorsitz der CDU gesichert, eine sehr weitgehende politische Umorientierung der CDU durchgesetzt und sie hat im Rahmen der Krise um das Reaktorunglück in Fukushima fast unbemerkt die Renationalisierung der Energiepolitik in Deutschland durchgesetzt. In der aktuellen Krise um den Euro zeigt sie erneut ihre Meisterschaft in der Disziplin des Krisensurfens. Dieser Artikel möchte dieser Technik Merkels soweit möglich auf den Grund gehen.

Was ist eine Krise?
Eine Krise ist ein Prozess, in dem sich Spannungen entladen, die sich in einem System Schritt für Schritt aufgebaut haben. Bei einer Krise können starke Energien freigesetzt werden. Diese kann destruktiv wirksam werden, bis hin zur Zerstörung des Systems, oder auch konstruktiv zu einer Anpassung und Verbesserung des betreffenden Systems genutzt werden.
Es ist nicht einfach, die explosive Energie einer Krise so zu kanalisieren, so dass man damit ein im Voraus definiertes Ziel durchsetzen kann. Um das Ergebnis einer Krise wirksam zu beeinflussen, bedarf es eines guten Verständnisses des Ablaufes einer Krise.

Die Anatomie einer Krise
Man kann meines Erachtens fast jede Krise in drei Phasen aufgliedern:

  1. Es wird offenbar, dass ein gravierendes und emotional hoch aufladbares Problem vorhanden ist.
  2. Während sich die Situation weiter mit Energie auflädt, wird die Krise definiert, diskutiert und in einem sachlichen und emotionalen Rahmen verankert.
  3. Die aufgestaute Energie wird frei und verändert oder zerstört das betreffende System.

Der Krisensurfer
Das Ziel des Krisensurfers ist es nun nicht nur unversehrt aus dieser Krise hervorzugehen, sondern die in der Krise frei werdende Energie zu nutzen um Ziele durchzusetzen, die unter normalen Bedingungen unerreichbar wären. Dazu sind zwei Fähigkeiten notwendig. Der Krisensurfer muss:

  1. sein Ziel kennen
  2. in der Lage sein die Energie einer Krise zu fokussieren.

Wenn Sie Ihre Ziele kennen und eine Krise nutzen möchten, kommt es auf zwei Dinge an: Sie müssen den Rahmen, in dem die Krise gesehen wird, maßgeblich beeinflusse, und Sie müssen die Eskalation der Krise unauffällig und sorgfältig managen.

Der Rahmen einer Krise
Ich habe als Beispiel die aktuelle Diskussion um den spanischen Aspekt der aktuellen Eurokrise ausgesucht.

Berliner Interpretation der Spanienkrise
Der gegenwärtige Schuldenstand Spaniens in Relation zu seinem Bruttoinlandsprodukt ist kaum höher als die Verschuldung der Berliner Regierung. Jedoch hat Spanien ein hohes laufendes Haushaltsdefizit das durch die hohe Arbeitslosigkeit und automatische Stabilisatoren im Rahmen der aktuelle Rezession bedingt ist. Insgesamt verringert die Rezession die Einnahmen des Staates und führen zu höheren Ausgaben. Angela Merkel hat in einer ähnlichen Situation in Deutschland im Jahre 2009 ein massives Konjunkturprogram, die Abwrackprämie für alte Autos, Kreditgarantien etc. als angemessen erachtet.
Spanien musste jedoch die Staatsausgaben massiv kürzen, nach Berliner Lesart weil es das Vertrauen der Anleger verloren hatte. Dies führte zu einer weiteren Verschärfung der Rezession, zu einer weiteren Verminderung der Steuereinnahmen und zu einem weiteren Anwachsen der Sozialtransfers. Dadurch wurden die Investoren in Staatsanleihen noch nervöser und fragen sich, ob diese Entwicklung in Spanien noch einmal umgekehrt werden kann. Dies ist eine verkürzte Form der Berliner Erzählung über die spanischen Finanzprobleme. Die Darstellung zielt auf die Forderung „Die Spanier haben über Ihre Verhältnisse gelebt und müssen nun die Konsequenzen tragen“.

Abweichende Interpretation vieler Wirtschaftswissenschaftler
Es gibt aber auch noch eine ganz andere Sicht auf die spanische Krise. Diese klingt etwa so: Das Grundproblem für Spanien sind die hohen Zinsen, die für seine Staatsanleihen gefordert werden. Diese Zinsen werden durch die Fundamentaldaten der spanischen Staatsfinanzen nicht gerechtfertigt. Selbst wenn man von einem weiteren Rückgang der spanischen Wirtschaftsleistung und einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgeht, bleiben die Schulden des spanischen Staates bei realistischen Zinsen rückzahlbar. Es ist jedoch aufgrund der hohen Zinsen für Spanien ein Problem entstanden. Es ist aber irreführend, die Zinsdifferenz zwischen spanischen und deutschen Staatsanleihen als Risikoaufschlag zu bezeichnen. Zunächst ist ein Zinssatz von 1,5 Prozent auf deutsche Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit bei einer Inflationsrate von über 2 Prozent – und einer von der EZB angestrebten Inflationsrate bei knapp unter zwei Prozent – keineswegs ein angemessener Zinssatz für eine risikolose Forderung, denn auch der risikolose Zinssatz kann nicht ein real negativer Zinssatz sein. Zweitens sind die Wirtschaftsdaten und die projektierte Entwicklung der Staatsschulden in Spanien auch nicht um so viele Welten schlechter als die französischen Vergleichsdaten, daß es gerechtfertigt wäre, von Spanien mehr als das doppelte des französischen Zinssatzes zu fordern.
Was drückt sich dann in der Differenz des spanischen zum deutschen Zinssatzes aus? Eine Erklärung wäre, dass in beide Papiere die Wahrscheinlichkeit eingepreist ist, dass mindestens eins der beiden Länder die Eurozone verlassen könnte. In diesem Fall würde entweder die dann neue spanische Währung abwerten, oder die deutsche Währung aufwerten, oder gegebenenfalls auch beides. Die Preisdifferenz beider Staatsanleihen, könnte über die unterschiedlichen Länderrisiken hinaus dieses nun als möglich erachtete Wechselkursrisiko reflektieren. In diesem Fall resultieren die hohen Spanischen Zinsen nicht aus einem Glaubwürdigkeitsproblem des spanischen Staates, sondern aus einem Glaubwürdigkeitsproblem der Eurozone als Ganzes. Und dieses Glaubwürdigkeitsproblem der Eurozone als Ganzes ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass Angela Merkel jedwede Problemlösung für die Schuldenkrise auf europäischer Ebene blockiert hat, so lange und so weitgehend sie das überhaupt nur konnte.

Weitere Aspekte der Eurokrise
Es gibt natürlich noch weitere Lesarten der europäischen Finanzkrise, die beispielsweise die den Salden der Leistungsbilanzen der Euroländer oder auch mit der für Spanien und Irland viel zu lockeren Geldpolitik der EZB in den Jahren zwischen 2000 und 2007 zu tun haben. Für den Zweck dieses Artikels möchte ich mich jedoch auf zwei Erklärungsmuster beschränken.

Implikationen dieser beiden Erklärungsmuster
Ich möchte hier nicht die jeweilige Substanz dieser beiden Erklärungsmuster diskutieren, obwohl vielleicht durchscheint, dass ich die zweite Erklärung für plausibler halte. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, wie wichtig für den weiteren Verlauf und das Resultat der Eurokrise ist, welches Erklärungsmuster sich durchsetzt.

Spanien muss sich nach seiner Decke strecken
Würde sich die erste Lesart durchsetzen, könnte man mit Recht an Spanien die Forderung stellen, mehr zu sparen. Da dies aber für die Tragfähigkeit der spanischen Staatsschulden sehr negativ wäre, müsste Spanien eher früher als später Hilfe beim europäischen „Rettungsschirm“ beantragen. Diese Hilfe würde dank Angela Merkel sicherlich mit Bedingungen verknüpft werden, die Spanien in eine Abwärts-Spirale stoßen würde, wie sie bei Griechenland zu beobachten ist. Das Endergebnis wäre Spanien als gescheiterter Staat, der in eine Art Protektorat der Geberländer des sogenannten Rettungsschirmes umgewandelt würde.

Deutschland profitiert von Spekulationen gegen den Euro
Die zweite Lesart würde zu folgender Schlussfolgerung führen: Deutschland zieht aus der andauernden Unsicherheit über die Zukunft des Euro einen unfairen Vorteil, und Spanien erleidet einen unfairen Nachteil. Daher muss es jetzt eine Klärung geben. Entweder muss unmissverständlich und und unumkehrbar klargestellt werden, dass der Euro nach einem mittlerweile kaum zu vermeidenden Zusammenbruch Griechenlands als Ganzes weitergeführt wird. Dies bedeutet ein Bankensystem mit Bankenaufsicht, Regulierung und Einlagensicherung auf Euroebene, sowie eine Erweiterung des Auftrages der EZB dahingehend, dass die Finanzstabilität in der ganzen Eurozone zu einem ausdrücklichen Ziel der EZB erhoben wird. Wenn Deutschland damit nicht einverstanden ist, muss es jetzt den Euro verlassen.

Die Definition des Problems bestimmt die Lösung
Sie sehen daran, wie wichtig für die Entscheidungen auf dem Höhepunkt der Krise sein wird, welche Sichtweise sich bis dahin durchgesetzt hat. Dies gilt sowohl für den Personenkreis, der die Entscheidungen letztlich trifft, als auch indirekt für die jeweilige öffentliche Wahrnehmung in den unterschiedlichen Ländern, die den Handlungsspielraum der Regierungen beeinflusst.

Zeitpunkt der Zuspitzung
Neben der Beeinflussung des Rahmens, in dem die jeweilige Krise definiert und diskutiert wird, ist für einen meisterlichen Krisensurfer entscheidend, den Zeitpunkt der Zuspitzung zu bestimmen. Bei Angela Merkel kann man beobachten, dass vor solchen Zuspitzungen Meldungen oft ohne konkrete Quellenangabe auftauchen, beim Beispiel Spanien etwa, dass die spanischen Banken 100 Milliarden neues Kapital benötigen würden und dass ein Antrag der spanischen Regierung auf Hilfen aus dem ESFS unmittelbar bevorstünden, gepaart mit Aufforderungen aus ihrem Umfeld (in diesem Fall Wolfgang Schäuble und Volker Kauder) dass die spanische Regierung sich dem ESFS unterwerfen solle. Das Vorgehen der Berliner Regierung bei Irland und Portugal war ähnlich. Es weckt eine negative Erwartung und eine Panik, die aus einem Abfluss von Kapital von spanischen Banken einen panischen Run auf diese Banken macht. Wann sieht also jemand wie Angela Merkel den Zeitpunkt für diese Zuspitzung als gekommen?

Kontrolle über die Interpretation der Krise
Zunächst hat das für den Krisensurfer optimale Timing mit seiner Fähigkeit zu tun, das allgemeine Verständnis der Krise zu kontrollieren. Wenn der Krisensurfer entweder das allgemeine Verständnis der Krise genau so durchgesetzt hat, wie er das für nützlich hält, oder wenn er Gefahr läuft, die Kontrolle über die Lesart der Krise zu verlieren, spricht dies für die Zuspitzung der Krise zu diesem Zeitpunkt. Im aktuellen Fall der spanischen Banken war dieser Zeitpunkt gekommen, als Angela Merkel massiv unter Druck gesetzt wurde eine Europäisierung des Bankensystems in der Eurozone zu akzeptieren.

Ausreichende Menge aufgestauter Energie
In der Krise muss sich genug Energie aufgestaut haben. Daraus resultiert ein hoher Stresslevel. Dieser behindert kreatives Denken beim Gegenüber und erleichtert dem Krisensurfer, von Anderen die Zustimmung zu seiner Lösung zu bekommen. Die Beteiligten – mit Ausnahme des hervorragend vorbereiteten Krisensurfers – sind auf das fixiert, was sie vermeiden wollen (z.B. den Zusammenbruch der spanischen Banken), und vergessen darüber die längerfristigen Folgen der vom Krisensurfer als „alternativlos“ präsentierten „Lösung“. Wenn der Stress-Level nicht hoch genug ist, behält die andere Seite ihre uneingeschränkte Denkfähigkeit und wird daher im Zweifelsfall eine ihr aufgedrängte „Lösung“ ablehnen.

Fazit
Das Sprichwort „aus der Krise eine Chance machen“ enthält mehr Wahrheit, als im Allgemeinen angenommen wird. Politiker benutzen Krisen gerne, und verschärfen sie auch mutwillig, um Lösungen durchzusetzen, die ihnen nutzen, auch wenn sie anderen schaden. Dazu benötigen sie insbesondere ein gutes Verständnis über die Mechanismen, die in Krisen wirksam werden und über die Reaktionen von Menschen unter Stress.
Um den eigenen Stress möglichst niedrig zu halten, ist es notwendig, eine Krise frühzeitig zu erkennen. Ein exzellenter Analyseapparat muss akribisch und blitzschnell die verschiedenen Dimensionen der kommenden Krise und deren möglichen Konsequenzen analysieren.
So kann der Krisensurfer die Diskussion über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten bestimmen und ein Ergebnis in seinem Sinne wahrscheinlich machen. Danach wird der Krisensurfer zu einem günstigen Zeitpunkt die Krise eskalieren lassen. Er hofft, dadurch von der Gegenseite die Zustimmung zu einer Lösung zu bekommen, die seinen – oft verschleierten -Zielen entgegenkommt.

Das Endspiel um Griechenland

Wir nähern uns jetzt mit schnellen Schritten einem Punkt der Entscheidung über die Eurozone. Der Katalysator für diese Entwicklung ist Griechenland. Die Energie für die mögliche Explosion kommt aber aus Deutschland, Italien und Spanien. Ich will hier aber keine esoterische Analyse erstellen, sondern ein praktisch mögliches Szenario für die kommenden Wochen durchspielen.

Der griechische Staat wird in sich zusammenfallen
In meinen Augen ist der Zusammenbruch Griechenlands und anschließend sein Ausscheiden aus der Eurozone nur noch eine Frage des Wann und des Wie, nicht mehr des Ob.

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Ein Szenario für das wie:
Die Abfolge der Schritte könnte etwas variieren. Aber im Groben sehe ich folgenden Ablauf:

  • Viele Griechen räumen bereits jetzt ihre Bankkonten leer und verbringen das Geld entweder ins Ausland oder verwahren es selbst an einem sicher geglaubten Ort.
  • Schon jetzt verschieben viele Griechen ihre Steuerzahlungen, da sie vom jetzigen Staat nichts mehr erwarten und darauf spekulieren, dass eventuelle alte Forderungen letztlich auf eine neue Währung umgestellt werden
  • Unabhängig vom Ausgang der Neuwahlen am 17 Juni kann keine griechische Regierung die vereinbarten Haushaltsziele mehr erreichen. Selbst wenn ND stärkste Partei würde, könnte diese wahrscheinlich keine stabile Regierung bilden und schon gar nicht den Staatsapparat Griechenlands zwingen, sich zur Hälfte selbst abzuschaffen.
  • ESFS und IWF stellen ihre Hilfszahlungen an Griechenland ein, weil Griechenland die vereinbarten Bedingungen nicht mehr erfüllt.
  • Die griechische Regierung stellt Zahlungen von Renten und Gehälter auf selbstgedrucktes Notgeld um, da sie nicht mehr über werthaltiges Geld verfügen kann.
  • Zeitgleich bricht das Gesundheitssystem zusammen, weil Medikamente nicht mehr bezahlt werden und somit auch nicht mehr geliefert wird. Möglicherweise bricht auch die Stromversorgung zusammen, weil die staatliche Elektrizitätsgesellschaft ihre Rechnungen für Primärenergie nicht mit selbstgedrucktem Geld der Regierung bezahlen kann.
  • Besetzung von öffentlichen Einrichtungen, Aufruhr, Streik. Flüchtlingsströme.
  • EU setzt Schengen-Abkommen aus, schließt die Grenzen nach Griechenland und führt Visapflicht für Griechen ein.
  • Militärputsch in Griechenland.
  • EU-Mitgliedschaft Griechenlands wird wegen Menschenrechtsverletzungen suspendiert.

Das Zeitfenster
Zu dem Zeitpunkt der wahrscheinlich unvermeidlichen Eskalation wird letztlich durch die EU entschieden. Es ist nämlich der Zeitpunkt, an dem kein Geld mehr von der EU nach Griechenland fließt. Wann das ein wird, ist noch nicht vollends klar. Es gibt jedoch einige Anhaltspunkte:
Deutschland und Frankreich werden auf jeden Fall vermeiden wollen, daß sich die Situation in Griechenland während der Sommerferien zuspitzt. Sie werden militärische Operationen vermeiden wollen, mit denen sie eventuell gestrandete oder auch in Geiselhaft genommene Touristen zurückholen müssten.
Andererseits wäre es wahrscheinlich nur schwer und durch eine weitere große Hilfszahlung möglich, die Zuspitzung bis in den Herbst hinein aufzuschieben.
Aber es wird auch niemand eine Zuspitzung vor dem Ende der französischen Parlamentswahlen planen, da sonst eine Blockademehrheit von Rechts- und Linksradikalen im französischen Parlament in den Bereich des Möglichen rücken würde.

Vielleicht sogar noch schneller
Damit würde sich ein Zeitfenster im letzten Drittel des Monats Juni für eine Zuspitzung in Griechenland ergeben. Doch die Tatsache, dass dies alles schon so berechenbar geworden ist, kann den Kollaps des griechischen Finanzsystems und des griechischen Staates noch erheblich beschleunigen.