Nach der Brexit-Entscheidung stellt sich nun die Frage, wie es jetzt weitergehen soll.
Auf britischer Seite sind die nächsten Schritte vorgezeichnet. Die Briten müssen sich erstmal neu sortieren. Es steht die Debatte an, was man denn positiv will in Bezug auf die EU, nachdem man entschieden hat, aus der EU auszutreten. Diese Debatte wird einen neuen Premier-Minister und möglicherweise auch einen neuen Oppositionsführer hervorbringen. Es ist gut möglich, daß die neue Regierung in London dann zu dem Schluß kommt, daß sie die Wähler um eine neue Legitimation für ihr weiteres Vorgehen bitten muß.
Reaktion der EU
Die Seite der EU war sicherlich nicht so überrascht und geschockt wie sie vorgibt, denn die Umfragen zu dem Volksentscheid waren über Wochen nicht eindeutig, es war immer eine klare, wenn auch nicht die einzige Möglichkeit, daß die Briten sich gegen eine weitere Mitgliedschaft in der EU entscheiden könnten. Juncker, Merkel, Steinmeier, Hollande, Tusk hatten also alle Zeit der Welt, sich auch auf diesen Fall vorzubereiten, und haben es auch getan.
Zwei Optionen der EU
Sie haben die Wahl, eine Bestrafung der Briten zu versuchen und, wie von manchen angekündigt, alles zu tun um ein Scheitern Großbritanniens herbeizuführen, bis hin zu einem Angriff auf die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs und einem neuen Anfachen des Konfliktes in Nordirland.
Oder sie können sich die Mühe machen, den Vertrag von Lissabon erneut zu lesen und dann feststellen, daß die Briten keine Straftat begangen haben und somit auch nicht bestraft werden müssen. Dann könnten sie sich vielleicht an einer konstruktiven Debatte beteiligen, wie das Verhältnis zum Vereinigten Königreich auch ohne eine EU-Mitgliedschaft positiv gestaltet werden kann.
Jedenfalls sollten sich die Herren Juncker, Schulz, Steinmeier, Gabriel und andere daran erinnern, daß der Vertrag von Lissabon zwar eine mögliche Austrittserklärung vorsieht, daß diese jedoch nur von den Regierung des austretenden Landes abgegeben werden kann, zu einem von dieser bestimmten Zeitpunkt. Ein Ausschluss aus der EU ist nicht möglich, auch nicht nach einem Volksentscheid wie kürzlich in Großbritannien. Und sicherlich können weder Schulz noch Juncker, noch Steinmeier, noch Gabriel, noch Merkel diese Austrittserklärung für das Vereinigte Königreich abgeben.
Die Fragen, die für die EU zu klären sind
Abgesehen von Diskussionen über die zukünftige Rolle der Londoner City für EU und Eurozone ergeben sich noch ganz andere Fragen, über die im Kanzleramt sicherlich nachgedacht wird:
- Was wird aus dem Ärmelkanal Tunnel
- Was wird aus Vodafone
- Was wird aus dem europäischen Stromnetz
- Kann die EU noch auf britisches Erdgas zählen, sollte aus dem einen oder anderen Grund nicht genug Gas aus Rußland kommen?
- Wie verändern sich die Machtverhältnisse innerhalb der EU?
- Wer kann neue Sperrminoritäten bilden, wenn die Stimmrechte Großbritanniens weggefallen sind?
- Wie verändert sich das Verhältnis zwischen EU und Nato?
- Welchen Einfluss werden EU, Großbritannien und Deutschland zukünftig jeweils bei IWF, Weltbank und UN haben?
EU setzt auf Konfrontation
Die EU scheint sich für den Weg der Konfrontation entschieden zu haben. In diesem Zusammenhang erscheint es mir sehr unwahrscheinlich zu sein, daß die Steinmeiers und Gabriels ohne Absprache mit Merkel und gegen deren Willen agieren.
Woher kommt nun die Forderung, ein Land zu bestrafen, weil es angekündigt hat, ein im EU-Vertrag verbrieftes Recht wahrzunehmen, und zu versuchen, dieses Land sofort und in rechtswidriger Weise aus den Entscheidungsprozessen der EU hinauszudrängen?
Die Begründung, man benötige Klarheit um die Finanzmärkte zu beruhigen, kann nur vorgeschoben sein. Im Moment könnte nur eins die Finanzmärkte merklich beruhigen: Klare Signale von allen Seiten, daß man entschlossen ist, konstruktiv und bedachtsam mit einer schwierigen Situation umzugehen. Aus Brüssel kommt das Gegenteil, während in Berlin die Worte aus dem Kanzleramt im Widerspruch zu den Aktionen des Aussenministers stehen.
Dieses Bild bewirkt sicherlich keine Deeskalation der aktuellen Krise. Im Gegenteil, eine wirksamere Strategie zur weiteren Verunsicherung der Wirtschafts- und Finanzwelt ist kaum denkbar.
Merkels Zauberlehrlinge haben übernommen
Steinmeier, Gabriel, Schulz, Juncker und Hollande hatten mehrmals Gelegenheit zu beobachten, wie Merkel von Zeit zu Zeit Krisen anheizt, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie wollen es ihr nun gleichtun, und die Brexit-Krise nutzen, um ihre eigene Agenda durchzusetzen.
Merkel sieht ihnen beim anheizen der Krise gelassen zu. Sie lässt sie gewähren, distanziert sich aber leise mit mahnenden Worten. Das ist klug, denn so suggeriert sie Uneinigkeit und eingeschränkte Handlungsfähigkeit in Berlin. Damit verstärkt sie das Gefühl der Unsicherheit, das die Finanzmärkte nach der Brexit-Entscheidung in den Krisenmodus treibt, und zu neuen Zinsaufschlägen für die Euro-Staaten am Mittelmeer führt. Gleichzeitig kann sie auf diese Weise die Verantwortung für die kommende Zuspitzung anderen zuschieben.
Berlin hat einen Plan
Im Kanzleramt in Berlin sind sicherlich schon seit einigen Monaten einige hundert der hellsten Köpfe damit beschäftigt über diese und weitere Fragen nachzudenken, und nach Aussage von Wolfgang Schäuble hatte die Bundesregierung vor der Brexit-Abstimmung einen Plan in der Schublade für den Fall, dass sich die Briten gegen die EU entscheiden sollten. Man darf getrost davon ausgehen, dass wir im Moment Zeuge einer frühen Phase der Ausführung dieses Planes sein dürfen.
Warum jedoch lässt Merkel die Zauberlehrlinge gewähren, wo sie doch weiß, daß diese darauf aus sind, sich einen Teil ihrer Macht anzueignen?
Die Antwort ist einfach: Sie weiß, daß es sich dabei nur um Zauberlehrlinge handelt, die in Wirklichkeit nicht wissen was sie tun. Sie haben zwar gesehen, daß Merkel zuweilen Krisen anheizt und dann nutzt um ihre Machtansprüche durchzusetzen. Aber den zweiten Teil ihrer Technik, der nicht so sichtbar ist, den haben sie übersehen: Nämlich klar definierte Ziele und einen durchdachten Aktionsplan zu haben, der im richtigen Moment Schlag auf Schlag umgesetzt werden kann.
Die Rolle der Zauberlehrlinge
Ihren Zauberlehrlingen fehlen klare Ziele, und ein klarer Plan. Sie sind jedoch zu Merkel sehr freundlich, entzünden ein Feuer und bringen die Küche zum Glühen. Merkel wartet dann, bis die Küche brennt und die Zauberlehrlinge nicht mehr weiterwissen. Dann ist ihre Zeit gekommen, die Welt zu retten und dafür ihren Preis zu verlangen.
Merkels Preis
Merkels Preis wird sein, dass die verbleibenden EU-Staaten die Vorherrschaft Berlins, und ein faktisches Vetorecht Berlins in allen Fragen anerkennen. Die von Merkels Zauberlehrlingen erzeugte Panik an den Finanzmärkten wird die Euroländer vor genau diese Alternative stellen: Unterwerfung oder Ausscheiden.
Für die Länder Osteuropas hat ein anderer Aspekt der Konfrontation zwischen den Mächtigen der EU und Großbritannien eine wichtige Konsequenz: Die NATO wird noch mehr zu einer bloßen Hülse. Die wichtigsten europäischen Mitglieder der NATO werden zerstritten und unfähig zum gemeinsamen Handeln sein, und die Vereinigten Staaten haben keine Möglichkeit, ohne gemeinsame logistische Unterstützung durch Deutschnd und Großbritannien in Osteuropa eine nennenswerte militärische Rolle zu spielen. Somit werden die osteuropäischen Staaten gezwungen sein, sich zu entscheiden, ob sie sich Putin oder Merkel unterwerfen wollen.
Griechenland und das Mittelmeer-Gebiet
Nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreiches können Länder eine Sperr-Minortität bilden, wenn sie zusammen knapp 200 Millionen Einwohner haben. Portugal, Spanien, Frankreich und Griechenland kommen zusammen auf rund 195 Millionen. Sie benötigen also nur noch ein weiteres relativ kleines Land wie Kroatien, Irland oder Österreich als Bündnispartner, um Beschlüsse in den Ministerräten der EU blockieren zu können.
Daher wird es für Merkel attraktiv sein, Griechenland aus der Eurozone und auch aus der EU herauszudrängen. Die notwendigen Vorbereitungen sind mittlerweile getroffen: Grenzen werden wieder kontrolliert und können – inklusive des Brennerpasses – kurzfristig geschlossen werden. Devisenkontrollen gelten für Griechenland sowieso, der Apparat diese durchzusetzen ist vorhanden und erprobt.
Für Merkel hat dies den weiteren Vorteil, daß sie in diesem Fall die Verantwortung für die sowieso notwendige Abschreibung der Schulden Griechenlands gegenüber Deutschland und den Institutionen der Eurozone der Brexit-Entscheidung zuweisen könnte. Damit wäre ihr größtes Dilemma gelöst: Sie kann innenpolitisch weder einen vom IWF geforderten Schuldenschnitt für Griechenland rechtfertigen, noch eine Fortführung der sogenannten Rettungskredite für Griechenland ohne Beteiligung des IWF sicher im Bundestag durchsetzen.
Wenn dann Zypern und Italien, eventuell auch Spanien, Portugal und Malta mit Griechenland gehen würden, wäre dies für Merkel kein wirklich großes Problem. Schuld wären natürlich die Briten.